WETTBEWERB 2011, 2. PREIS
Mitarbeit POLA Landschaftsarchitekten, Berlin
mit AFF-Architekten Berlin
Geschichte lebendig halten…
Entwurfsgedanken
Das Leitthema des Entwurfes sucht seine Quellen in der unfassbaren Verkehrung des Ortes. Wichtig erscheint uns eine Gedenkstätte zu etablieren, welche sich gleichermaßen informativ und gegenwärtig darstellt. Gedenken soll nicht an einem Monument als starres Abbild der Zeit erfolgen, sondern immer wieder Gedächtnisarbeit erfordern. Mit dem transitorischen Moment des Wandels der Kulturpflanzen ändert sich das Bild der Gedenkstätte und erfordert eine fortlaufende Neupositionierung. Das Wahrnehmen des Bildes einer Gartenbauschule adaptiert sich im Besonderen mit dem Wechsel der Jahreszeiten. Im Gegenzug steht die Verkehrung des Ortes in seiner Entfremdung als Verwaltung der Shoa. Damit greift der Entwurf die unterschiedlichen Erlebnis- und Erzählebenen im direkten Bezug zur wechselvollen Geschichte der Israelitischen Gartenbauschule auf.
Das Direktorenhaus wird von einem Obsthain mit Spalierobst umgeben. Alle Obstbäume wachsen an Rankgerüsten im strengen Erziehungsschnitt. Hier tritt das aktive Gedenken durch die ständige fachliche Pflege der Spaliergehölze gleichrangig neben eine Züchtungs- und Kultivierungsarbeit des Gartenbaus. Beide bedingen sich und prägen das Bild und die Zukunft des Gartens.
Die Rankgerüste sind nicht nur Stütze des kultivierten Wachstums sondern auch Träger der Opfernamen. Die Entwicklung, das Wachsen, das Blühen und Vergehen der Gehölze steht als Synonym für die Personen die hier arbeiteten, lernten, wohnten, deportiert wurden und starben.
Besuchende betreten diesen Hain an unterschiedlichen Zugängen, von der Tramstation und der Zuwegung vom Parkplatz. Als Weg der Transformation vom Alltäglichen zu einem Einfühlen in die Geschichte des Ortes werden sie zum Eingang des Direktorenhauses geleitet. Die Wege zwischen den Gärten der Spaliergehölze knüpfen an die Wegeführung des parkähnlichen Gartens an und verbinden beide Teile miteinander auf sinnfällige Weise. Durch die Modellierung des Geländes ergibt sich ein ebenerdiger Zugang zum Direktorenhaus. Die Rankhilfen hingegen folgen streng einem vorgegebenen Niveau und variieren von 1,5 bis 3m. Je dichter die Besuchenden sich dem Eingang nähern, umso mehr Weitblick gewinnen sie über das Gelände. Ankommen und Eintreten werden somit zeitlich und örtlich ausgedehnt. Das Erleben und Hinterfragen von Gegenwart und Geschichte beginnt damit bereits im Freiraum.
Der Garten
Ausgehend von der ursprünglichen Anlage der Gemüsebeete des Schulgartens der ehemaligen Gartenbauschule und den vorhandenen Beeten nördlich der Justus-von-Liebig-Schule bildet sich eine gärtnerische Struktur um die Gedenkstätte und rückt diese in den Kontext der ehemaligen Gartenbauschule. Rankgerüste mit unterschiedlichen Spalierobst- und Ziergehölzen gliedern die Struktur. Schmale Wege für Pflege und Erkundungen der Einzelnen Gehölze und den Namen der Opfer auf den Rankgerüste führen um die mit Bodendeckern, niedrigen Stauden und Frühjahrsblühern bepflanzten Beete herum. Verschiedene Sorten von Obstgehölzen aus den verschiedensten Ursprungsländern werden an den Spalieren kultiviert und gepflegt. Chaenomelis japonica (Wilde Quitte), Sorbus domestica (Birne), Prunus cerasifera (Kirschpflaume) und Mespilus germanica (Mispel) und nur wenige zu nennen füllen die Rankgerüste mit Leben und Wachstum.
Der Grundriss der ehemaligen Laubhütte wird im Boden mittels farblich abgesetzten Kiesflächen nachgezeichnet. Dieser liegt eingebettet in der großen Rasenfläche. Eine gesonderte Erschließung vom Weg aus entfällt. Gleiches gilt für alle der sich im parkähnlichen Garten befindenden Denkmäler. Sie ordnen sich unprätentiös aber selbstbewusst mit ihren unterschiedlichen Aussagen dem Garten unter. Der Garten wird hier, wie am Direktorenhaus, Träger des Gedenkens.
Direktorenhaus
Als Zugang zum Direktorenhaus wird die Schnittstelle zur ehemaligen Bebauung gewählt.
Der Entwurf ordnet die Funktionen im Inneren in Anlehnung an die historische Struktur des Gebäudes. Die Veranstaltungsräume mit Gruppenraum, Bibliothek und der dazugehörigen Infrastruktur befinden sich im Erdgeschoss. Das 1. Geschoss mit seiner klaren Raumaufteilung, in dem sich die ehemalige Direktorenwohnung befand, wird mit dem Ausstellungsthema „Ahlem als Ort nationalsozialistischer Verfolgung“ neu belegt. Die kalte Verwaltung der Shoa steht im Mittelpunkt des gestalterischen Leitbildes. In den 3 Räumen, die den Zeitzeugen gewidmet sind, können sich Besuchende mit Einzelschicksalen an Medientischen zu unterschiedlichen Themen informieren. Die Wände werden von hohen Regalen mit Ordnern gefüllt bekleidet. Sie enthalten das Quell- und Arbeitsmaterial für die folgenden Räume der Reflektion. Hier kann im gemeinsamen Gespräch mit Zeitanalysen und Diskussionen eine Sichtweise über Opfer und Täter reflektiert werden. Alle Wände dieser Räume sollten als Pinnbord konzipiert sein. Damit entwickelt jede Besuchergruppe ein eigenes Abbild der Geschichtsrezeption aus den gesammelten Eindrücken. Ohne diese Diskussion und ohne diese Reflektion bleiben die Wände leer. Die Ausstellung fordert damit die Rezipienten bewusst zur aktiven Teilnahme auf und entlässt alle Besuchenden als aktive Mitgestaltende des Gedenkortes.
Das 2. Geschoss, als Schlafsaal der ehemaligen Gartenbauschule, wird dem Ausstellungsthema „Ahlem als Ort jüdischen Lebens, Lernens und Arbeitens“ gewidmet. Bewusst fällt die Wahl auf diesen Teil des Gebäudes, da seine frühere Offenheit am Besten das Gefühl der Gemeinschaft transportiert. Hier können die Besuchenden an unterschiedlichen Stationen Informatives zu den Themenbereichen von 1893 bis 1933 erfahren. Die Präsentation soll dem Überblick in einer Werkstatt gleichen. Des Weiteren können Inhalte gemeinsam auf einem Podium reflektiert werden. Hier rahmt ein zusätzliches Fenster, als großformatiger Einschnitt in der Fassade des Gebäudes, den Ausblick auf den Ort und bezieht die Jahreszeiten in die Ausstellung ein.
Sonderausstellungen können im Kellergeschoss präsentiert werden.
Beurteilung durch das Preisgericht
Mit der Idee des Gedenkgartens wird sehr markant auf die Gedenkstätte und die israelitische Gartenbauschule Bezug genommen. Der Obsthain, mit den die Opfernamen tragenden Rankgerüsten, prägt das unmittelbare Umfeld des im äußeren Erscheinungsbildes nahezu unveränderten Direktorenhauses. Der westliche Teil des Freiraumes wird durch einen parkähnlichen Garten gebildet, dessen Wegeführung sich wie selbstverständlich mit den Wegen in den Spalierobstflächen verbindet.
Durch eine raffinierte Modellierung des Geländes in Verbindung mit den einheitlichen Oberkanten der Spaliere entstehen spannende Raumsituationen und Blickbeziehungen. Der Umgang mit den Gedenkelementen im Garten ist bewusst unprätentiös und angemessen. Die Grundstruktur des Gebäudes bleibt weitgehend erhalten und wird zur selbstverständlichen Grundlage für die räumliche Gliederung der Ausstellungsbereiche genutzt. Die minimalistische Haltung der Ausstellung wird Grundlage einer stark inhaltsbezogenen Auseinandersetzung und fordert den Besucher zur Interaktivität heraus. Mit großer Konsequenz wird die kleinteilige Struktur der Direktorenwohnung dem Thema NS-Zeit gewidmet und als kalte Verwaltungsräume inszeniert. Der ehemalige Schlafsaal im 2. OG wird in seiner früheren Offenheit wieder hergestellt und passenderweise dem Thema der Geschichte der Gartenbauschule gewidmet. Hier wird durch ein neues großes Fenster der Bezug zum Gartenbaugelände hergestellt. Die in der Auslobung geforderte gesamtheitliche Betrachtung wird in diesem Entwurf feinfühlig gelöst. Die Erstellungs- und Betriebskosten werden bezügliche des Gebäudes als im unteren Bereich liegend eingeschätzt. Die Kosten für die Gestaltung des Gebäudeumfelds (Gedenkhain) liegen im oberen Bereich.